„Du Fotze, geh mir aus dem Weg!“, sagt der etwa 16-jährige Teenager mit bedrohlichem Ton zu seiner Lehrerin. Es ist November. In der Schule sehe ich ihn zum ersten Mal. Überrascht von der heftigen Reaktion des Schülers, trete ich zu ihm und stelle die Frage: „Meinst du die Lehrerin?“ Ohne zu zögern, überschüttet er mich mit einem weiteren Schwall von Beleidigungen. Er schimpft und flucht nicht nur über mich, sondern auch über die ganze Schule. Ich bemerke, wie sich sein Körper vor Wut anspannt, sein Gesicht immer röter wird, seine Stimme grober wirkt und wie er die Finger zu Fäusten ballt. „Dieser junge Mann verliert langsam die Kontrolle über sich selbst.”, denke ich in dem Moment und spüre die ansteigende Bedrohung.

Glücklicherweise kommt bereits der Klassenlehrer des unbekannten Schülers auf uns zu. Ich verlasse die Situation und höre nur aus der Ferne, dass der Jugendliche dieses Jahr zum ersten Mal zur Schule gekommen ist… Es ist November.

Die Situation beschäftigt mich rückblickend weiterhin. Obwohl unsere Schule von Kindern mit sozial-emotionalen Problemen besucht wird, kommt es nur selten vor, dass sie von Anfang an so grob kommunizieren. Es ist auch selten, dass sie nicht zwischen Gesprächspartnern unterscheiden und alle pauschal mit Beleidigungen überhäufen. Ich denke darüber nach, dass der Junge unter dem Einfluss von Rauschmitteln stehen könnte. Das würde vieles erklären.

Diesem fast erwachsenen Jungen mangelt es völlig an emotionaler Regulation. Entweder aufgrund von Drogenkonsum, erlebten Traumata oder momentanen Frustration… Wie auch immer, wir wissen alle, dass solche Menschen eventuell sehr gefährlich sein können.

Aber wie gefährlich? Welches Szenario ist realistisch möglich? Schwere Körperverletzung, Massenangriff, Tod?

Der Lehrerin und mir ist an diesem Tag zum Glück nichts Schlimmes passiert. Die Situation ist nur eine von Millionen, die wir täglich erleben, und dies ist nur ein Ausschnitt aus dem Leben dieses Jungen, den ich an diesem Tag zum ersten und letzten Mal gesehen habe. Aber unsere Begegnung hat sich in mein Gedächtnis eingeprägt. Ich werde das innere Bild nicht vergessen, das mir beim Anblick dieses Jungen durch den Kopf schoss. Dieser Mensch lebt zwischen uns, kreuzt unsere Gehwege, arbeitet im selben Laden, geht in die gleichen Clubs und trifft an unsere Kollegen, Bekannten und Familie.

Und obwohl der Junge aus meinem Leben für einen Moment verschwunden sein mag, betritt er weiterhin das Leben anderer. Und so frage ich mich: „Ist er wirklich aus meinem Leben gegangen?“

Inwieweit geht uns das Verhalten anderer nicht an, wenn sie uns doch alle betrifft?

Diese Überlegungen haben mich schließlich zu dem Gedanken geführt, was wir beeinflussen können und sollten. Wir können nämlich verhindern, dass ein Mensch den Punkt erreicht, an dem sich unser Jugendlicher befindet. An dem Ort, an dem er nicht nur sich selbst, sondern auch uns und unsere Umgebung bedroht.

Wenn wir rechtzeitig eingreifen, können wir das Schicksal nicht nur dieses Menschen, sondern auch aller, die mit ihm eng verbunden sind, verändern.

Und wo können wir eingreifen? Was liegt in unserer Macht zu beeinflussen? Es sind die inneren Welten der Kinder, die erreichbar und zugänglich sind. Hier entstehen bereits Pathologien, Abhängigkeitsmuster, Aggressionen und Traumata, die später viele Leben zerstören können.

Es ist also sinnvoll, mit den Kindern zu beginnen. Die Erkennung und Veränderung dieser pathologischen Muster von Gewalt, Abhängigkeit und Verletzungen sind bedeutende Schritte hin zu einem glücklichen und erfüllten Leben für sie sowie für uns alle – auch in den kommenden Generationen.